60 Jahre Lebenshilfe Detmold e.V. – Feier im Kreishaus Detmold
Viel erreicht und noch viel zu tun: 60jähriges Bestehen der Lebenshilfe im Kreishaus Detmold wurde im Detmolder Kreishaus mit Rück- Ein- und Ausblicken gefeiert.
„Kann man, darf man an einem solchen Tag feiern? “fragte Cordula Holle in ihrer Begrüßung und bezog sich damit auf den internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust am 27.Januar. Dem Vernichtungswillen der Nationalsozialisten fielen auch bis zu 300.000 kranke und behinderte Menschen zum Opfer. „Man kann, man darf, ja man muss sogar“, beantwortete die Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe Detmold e.V. die Frage, denn mit der Befreiung des KZ s Auschwitz Birkenau und der jungen Demokratie in der BRD habe sich allmählich ein Paradigmenwechsel vollzogen: Vom von den Nazis proklamierten Begriff des lebensunwerten Lebens hin zum Bekenntnis, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist, dem bedingungslosen Recht auf ein lebenswertes Leben aller und dem Recht auf Teilhabe für alle Menschen.
Die Verwirklichung des Rechts auf Teilhabe und die notwendigen Hilfen dazu haben in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Darauf bezogen sich Landrat Dr. Axel Lehmann, der Arbeit als Teilhabefaktor unterstrich ebenso wie die Landesbehindertenbeauftragte Claudia Middendorf, die die Lebenshilfe als „laute Stimme und Motor für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung“ bezeichnete. Axel Lehmann würdigte die Lebenshilfe Detmold als großen Anbieter von Arbeitsmöglichkeiten und sagte: „Sie werden gebraucht, ihre Arbeit wird gebraucht“. Glückwünsche und persönliche Erinnerungen an die Lebenshilfe überbrachte die stellvertretende Bürgermeister Detmolds Christ-Dore Richter: „Wir als Stadt Detmold können uns glücklich schätzen, die Lebenshilfe als Teil unserer Gemeinschaft zu haben.“
Viel länger als die Geschichte der Achtung der Rechte von Menschen mit Behinderung jedoch ist die ihrer Diskriminierung, Missachtung und Misshandlung. Darauf ging Claudia Middendorf in ihrem Vortrag ein, der als Zeitreise durch die Jahrhunderte aufgebaut war. Noch lange sei auch in der Gegenwart der Punkt nicht erreicht, an dem man von vollständiger Integration und selbstverständlicher Teilhabe aller sprechen könne. Inklusion ist das Ziel der Arbeit der Lebenshilfe, wie die kaufmännische Geschäftsführerin Barbara Milde in ihrem Beitrag ausführte, in dessen Mittelpunkt sie das überarbeitete Leitbild der Lebenshilfe Detmold stellte. In der Präambel dazu heißt es: “ Unsere Vision ist eine inklusive Gesellschaft, in der es normal ist, verschieden zu sein“. Barbara Milde benannte auch das Spannungsfeld zwischen unternehmerischem Handeln und sozialer Verantwortung.
Dass der bürokratische Aufwand unseres ordentlich verwalteten Rechtsstaat auch allen im sozialen Bereich tätigen und engagierten Menschen den Alltag mitunter schwer machen kann, kam in Barbara Mildes Vortrag ebenso vor wie in dem Überblick zur Entstehung und Entwicklung der Lebenshilfe Detmold e.V. von Hans-Hermann Schmitz. Im Vordergrund standen aber jeweils das Erreichte und die Verfolgung guter Perspektiven. Fotos und Zeitzeugnisse zu dem Vortrag des Pioniers und langjährigen Geschäftsführers der Lebenshilfe Detmold veranschaulichten diese Fortschritte vom ersten Sonderkindergarten in der Freiligrathstraße in den 1960iger Jahren bis zum Aufbau von Werkstätten, Wohnstätten und ambulanten Angebote. Am Anfang sei es darum gegangen, Alternativen zur damaligen Situation von Eltern mit behinderten Kindern zu schaffen. Damals standen die Eltern vor der Wahl, ihr Kind in einem Heim unterzubringen oder in der Familie behalten, mit allen Konsequenzen, wie Schmitz betonte. Fortschrittliche Pädagogik nach Erkenntnissen der amerikanischen Kinderpsychologin Marianne Frostig prägten die Arbeit. Seit 2010 gehört es zum Satzungszweck der Lebenshilfe, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu begleiten. Ging es in den 1960iger und 1970iger Jahren zunächst darum, mit Werkstätten, Kindertageseinrichtungen und einer Schule familienergänzend tätig zu sein, kam in den 1980iger Jahren die Frage nach Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen auf. 1982 kaufte die Lebenshilfe die ehemalige Pension Haus Sauerländer in Hiddesen. Inzwischen unterhält die Lebenshilfe Detmold e.V. neun Wohnstätten in Detmold und Umgebung.
Um den Unterschied von Mitwirkung und Mitbestimmung ging es in einer Talkrunde, die die pädagogische Geschäftsführerin Stephanie Kleine moderierte. Alexandra Specht als Frauenbeauftragte und vier Vertreter von Werkstatt- und Bewohnerbeirat berichteten von ihrer Arbeit. Mitbestimmung ist, wenn man nicht nur gehört wird, sondern auch mitentscheidet. Etwa bei Neueinstellungen von Fachkräften. Hier sind die Gremienvertreterinnen und Vertreter der Menschen mit Behinderung eingebunden. Es sei auch schon vorgekommen, dass es nicht zu einer Einstellung kann, weil sie dagegen waren. Alle betonten, wie wichtig ihnen die Arbeit in den Gremien ist und wie viel sie ihnen auch persönlich bringt. Anerkennung und Wertschätzung sind gut fürs Selbstbewusstsein. Neue Lernfelder auch: „Wenn ich es nicht selbst versuche, kann ich es nicht lernen“, sagte Michael Mehltretter und ergänzte: „Meistens will ich es erst einmal allein versuchen und schaffen.“ Alexandra Specht als Frauenbeauftragte erzählte von einer Aktion zum Weltfrauentag, als sie und ihr Team mehr als 300 Frauen an ihren Arbeitsplätzen in den Werkstätten der Lebenshilfe besucht und jeder eine Rose gebracht hatten: „Die haben im Kreis gelacht, da waren nur die Ohren dazwischen.“
Nach ihren Wünschen für die Zukunft in der Lebenshilfe Detmold gefragt, antwortete Alexandra Specht, dass die Zusammenarbeit so gut und vertrauensvoll bleibe wie sie ist. „Und eine faire Entlohnung für alle Werkstattbeschäftigten, fügte sie hinzu.“ Ein weiterer Wunsch aus der Runde galt noch mehr Informationen in leichter Sprache bzw. mit Piktogrammen. Und auch ein sehr persönlicher Wunsch war dabei: „Dass ich wiedergewählt werde“.
Es war eine runde, würdige Feier des sechzigjährigen Jubiläums im Kreishaus mit einer gelungenen Mischung aus Information, Reflexion und Unterhaltung. Dazu trug die gut gelaunte entspannte Moderation durch Friedel Heuwinkel bei, stellvertretender Vorstand der Lebenshilfe Detmold e.V., und der stimmige musikalische Rahmen: Der Chor der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Werkstatt Johannettental, auf der Gitarre begleitet von Wolfram Spinn, begrüßte die Gäste beim Sektempfang.
Und ganz groß: das Lebenshilfe Blechgebläse. Sechs bekannte Popstücke aus sechs Jahrzehnten , von „Lady Madonna“ bis zum Hit „The Wellerman“ brachten acht Fachkräfte der Lebenshilfe Detmold per Trompete, Tuba, Horn und Posaune zwischen den Wortbeiträgen zu Gehör und das Publikum zum Mitklatschen.
Beim Empfang und Imbiss, die vom Lebenshilfe eigenen Inklusionsbetrieb bistro&kaffebar unErwartet GmbH mit köstlich-kreativen Speisen und aufmerksamem Service verantwortet wurden, nahmen die Gäste die Gelegenheit zum Austausch und vielen Begegnungen wahr. Schön war´s.
Fotos: Christine Förster und Manfred Hütte.
Wir danken dem Detmolder Kurier für die freundliche Genehmigung.